Montag, 3. September 2012

1. Freiburger Steampunktreffen - guter Bericht im Fudder

Steampunk in Freiburg: Ein Nachmittag mit Doc Damyrev und Kollegen

Samstagnachmittag vor dem Gasthaus zum Kranz in der Herrenstraße: eine kleine Menschentraube hat sich gebildet, neugierige Touristen im Rentenalter und kleine Kinder drängen sich um ein Grüppchen bizarr gekleideter zeitreisender Abenteurer, die sich fröhlich fotografieren lassen. Freiburgs erstes Steampunktreffen! Philipp war für fudder dabei:

Steampunker, stelle ich fest, teilen eine Optik, die grob an die Science-Fiction des späten viktorianischen Zeitalters angelehnt ist, mit viel Freiheit im Detail. „Doc Damyrev“ trägt eine mit kupfernen und messingnen Gerätschaften und Linsen übersäte blaukarierte Wollweste wie eine Dickens-Figur, ebenso ausgestattete braunlederne Unterarmschoner und dazu eine Art Pilotenhaube (Leder, braun). „Pierre de Vapeur“ trägt eine runde Nickelbrille, Koteletten bis zum Kinn, eine taubenblaue zweireihige Uniformjacke mit glänzenden kupfernen Knöpfen und ausladenden Schulterstücken aus Leder und, wenn ich mich recht entsinne, einen Zylinderhut mit einer altmodischen Piloten- oder Autobrille.



Sein Kostüm wird komplettiert durch eine komplexe Konstruktion aus kupferfarbenen Schläuchen und einer Art Rucksack irgendwo zwischen Kuckucksuhr und Ururomas Gewürzschränkchen. Er ist, sehr grob gesagt, eine Art magischer Koch – ich bin zwischendurch etwas überfordert, mir alles zu merken.

Anders als die düster-bleichen Goths, mit denen sie auf Treffen wie dem Leipziger Wave Gothic Fest zusammenkommen - „für die Securities sind die Kostüme immer eine Herausforderung “, erzählt Damyrev, der ein breites Spektrum an unidentifizierbaren Metallgegenständen am Körper trägt -, mögen die Steampunker es warm und mit Patina. Farben wie Braun, Kupfer, Messing sind allgegenwärtig. Den zur modernen Vorstellung der späten viktorianischen Ära dazugehörenden Sepiaschleier muss man sich nicht erst dazudenken. „Edelstahl mögen wir zum Beispiel nicht so“, sagt ein Steampunker, der sich als „Karlsson vom Dach“ vorstellt und eine Art Messing-Propellerrucksack trägt, in dem ich unter anderem Teile eines Blechblasinstruments wiedererkenne.

Zusammen mit der Einrichtung des Gasthauses zum Kranz – dunkles Holz, Trockenblumengebinde, alte handkolorierte Schwarzweißfotografien, blecherne Kutschenlampen – ergibt sich ein cooles Gesamtkunstwerk. „Es gibt drei Kategorien Leute“, erzählt Damyrev. „Die einen ignorieren einen, die anderen kucken und fragen, und die dritten und so, als ob sie einen ignorieren, und kucken dann heimlich.“ Die Gäste des Gasthauses gehören meist zur zweiten Katgorie, es gibt großes Hallo.

Die Bewegung, Szene oder Ästhetik des Steampunk ist ursprünglich schon in den 80er und 90er Jahren in den USA entstanden und ist inspiriert von Klassikern wie Jules Verne und H.G. Wells, produziert aber längst eine Fülle neuen Materials. Doc Damyrev zeigt mir Comic- und Bildbände voller Illustrationen fliegender Städte und seltsamer magie-, dampf- und uhrwerkbetriebener Wesen, Artefakte und Kunstwerke.

Die Szene definiert sich über diese Kreationen, der Schwerpunkt liegt auf dem Basteln, Bauen, Malen, Geschichtenerzählen. Filigrane Feenflügelchen mit Zahnradantrieb – ein Feelikopter! Mahagoni- und Messinggehäuse für Laptops. Enorm retroschicke Picknicksets. „In Luxemburg wird es eine Veranstaltung geben, bei der ein Expeditionslager aufgebaut wird“, erzählt Tutursula von Ungefähr, „mit Beduinenzelten. Ich bleibe aber wahrscheinlich doch lieber im Wohnmobil.“ - „In der mobilen Expeditionsbasis“, korrigiert Pierre. Eine Musikrichtung hat die Szene dagegen zum Beispiel nicht.

Eine spielerische Leichtigkeit zeichnet die Szene aus – von den ausnahmslos nichttödlichen „Waffen“ der Anwesenden – eine projiziert, wenn ich das richtig verstanden habe, die negativen Gedanken des Angreifers auf ihn zurück - über die unbekümmert-albernen Charakternamen bis zu den Abenteuern, die sie bestehen – meist Entdeckungsreisen, Forschung und Wissenschaft an der Grenze zwischen Genie und Wahnsinn, quasi Dampfschiff Enterprise auf sehr sehr guten Drogen. Doc Damyrev fehlt zu seinem „Wolkendiffusor“ noch ein seltenes Mineral, das nur in den Ringen des Saturn vorkommt, was, führt er aus, das schlechte Wetter erkläre. Prof. Tutursula von Ungefähr beschäftigt sich mit „Magie und extravaganten Sprachen“ und fängt Worte in essbare Kugeln ein.


Defekte an der Ausrüstung kommen gelegentlich vor, erzählt Damyrev. „Zweikomponentenkleber  habe ich immer dabei.“ Teile vom Trödler mischen sich in den Requisiten, pardon, Ausrüstungen, harmonisch mit solchen aus dem Baumarkt. Während ich versuche, meine Eindrücke aufzuschreiben, unterhalten sich die Steampunker über Vorsichtsmaßnahmen, um nicht mehr Geld als geplant auf dem Flohmarkt auszugeben, über die Gefahren des Lötens, die Probleme des Schneiderns historischer Kostüme und weitere geplante Erfindungen.

Die Gesellschaft ist ebenso gebildet wie blaublütig. Neben der Professorin für Extravagante Sprachen und Magie und „Doc“ Damyrev ist auch eine Kryptozoologin anwesend, und wenn wir Karlsson „vom“ Dach als Adligen durchgehen lassen (warum auch nicht) überschreitet die Adelsquote der Anwesenden locker die 50%. Steam-Proletarier gibt es nicht, bestätigt der Doc, auch wenn es wohl müßig ist, in diese Tatsache viel hineinzulesen – Fußballfans verkleiden sich auch nicht als der Hausmeister vom Stadion. Trotzdem kann man wohl sagen, dass beim Steampunk das, was man gemeinhin unter „Punk“ versteht, im Vergleich zum doch noch recht düsteren „Cyberpunk“ noch einmal ein großes Stück weiter in den Hintergrund getreten ist.

Eine stilistische Orthodoxie hat sich anscheinend (noch?) nicht herausgebildet. Madame du Jard, aus Schwangerschaftsgründen ohne Korsett, aber immer noch stilecht, wenn auch schlicht und zahnradfrei gekleidet und mit einer ziemlich coolen, äh, historischen Frisur, die zu beschreiben mir komplett das Vokabular fehlt, kommt eigentlich „aus der Viktorianik und dem Reenactment“ und spielt jetzt mit dem Gedanken, in den Steampunk einzusteigen, um nicht mehr auf die Authentizität „jeder Kuchengabel“ achten zu müssen. Einige spielen mehr ins Gothige: Karlsson vom Dach trägt Weinrot und Schwarz statt Blau und Braun zum Messing, eine Frau trägt ein spektakuläres schwarzes Rüschenkleid inklusive Hütchen.

Die Offenheit, Herzlichkeit und Verspieltheit der Szene verbreiten ansteckend gute Laune. Wer Kupfer, Messing und ein barock überzeichnetes, verspieltes Pastiche der Kunst der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert – plusminus großzügig einige Dekaden - hübsch findet, als Kind Jules Verne gelesen hat, gerne bastelt, eine Affinität zum Adel und ein Faible fürs Fantastische hat, für den könnte Steampunk einige spannende Möglichkeiten bieten, seine Zeit zu verbringen. Auch für die meisten anderen dürfte zuallermindest eine Google-Bildsuche nach „Steampunk“ eine nicht ganz uncoole Methode sein, die nächste Mittagspause zu verbringen.


2 Kommentare:

  1. Und in der richtigen Zeitung für die Großen wart ihr auch! =)
    Und ihr saht alle total gut aus... und und und... also alles spitze!

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  2. Danke für das Kompliment! (Den Bericht in der BZ fand ich ein bisschen Panne. Die gute Frau hat nichts recherchiert und hat uns x-mal gefragt: ja ist das jetzt wahr? Oder war das jetzt Fiktion? Niveau: Klasse 8, Bericht über den Besuch im Heimatmuseum... :-) Zudem war sie bei den Angaben zu unseren Personen ein wenig indiskret, ohne uns gefragt zu haben.)
    Aber uns hat das Treffen viel Spaß gemacht.

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